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Gehen Sie Ihre Grundrissplanung mit diesem einfachen Vorsatz an. Wie komme ich zu diesem ketzerischen Vorschlag?
Erstgeburt Erdgeschoss
Klassischerweise planen Laien ihr Haus so, wie es aus der Baugrube emporwächst. Dabei erfährt das Erdgeschoss größere Aufmerksamkeit als das Obergeschoss. Im Erdgeschoss werden die meisten Stunden im wachen Zustand erlebt, also bewusst gewohnt. In das Obergeschoss zieht man sich für die Nacht zurück, bzw. die Kinder bei schlechtem Wetter auch zum Spielen. Also ist das Erdgeschoss die Königsebene und erfährt daher regelmäßig die größere Aufmerksamkeit und die Adelung der Erstgeburt.
Die Bedeutung der tragenden Wände
Allerdings bekommt es das Traumhaus beim Eintauchen in die Wirklichkeit mit der Schwerkraft zu tun: Damit das Erdgeschoss sich ein weiteres Stockwerk überhaupt aufladen kann, muss es erst einmal eine Decke und dazu auch tragende Wände bekommen. Auch das Dach auf dem oberen Stockwerk hat ein Gewicht, das weder von Engeln noch von einem Magnetfeld getragen wird. Sie ahnen es schon: Die phantasielosen Bauingenieure bemühen hier wieder einmal tragende Wände, und genau hier kommt nun die Komplikation in unsere Geschichte.
Wo liegt das praktische Problem?
Die tragenden Wände haben in beiden Stockwerken eine Doppelfunktion: die Decken tragen und die Räume voneinander abgrenzen. Regelmäßig sind tragende Wände auch selbst schwergewichtige Angelegenheiten und belasten die Geschossdecke unter ihnen weniger, wenn sie an den gleichen Positionen wie die „Kollegen“ des anderen Stockwerkes stehen, sich also exakt übereinander befinden. Nun hat man allerdings im Wohngeschoss gerne Weite, im Schlafgeschoss dagegen ein dichter gepacktes Raumprogramm.
Die höhere Anzahl an Zimmern im Schlafgeschoss bringt zwangsläufig eine höhere Zahl an Zimmertüren mit sich, die um eine günstige Lage an einer Diele konkurrieren. Diese Diele soll aber keine üppige Größe bekommen. Das Schlafgeschoss ist also dasjenige Stockwerk mit der kniffliger aufzuteilenden Gesamtfläche. Wenn es kein sogenanntes „Vollgeschoss“ ist, also wesentlich kleiner als das darunterliegende Wohngeschoss, verschärft sich dieses Problem zudem.
Womit tue ich mir nun also einen Gefallen?
Nun haben wir ja gelernt, dass es klug ist, die Aufteilung übereinanderliegender Geschosse miteinander in Harmonie zu bringen. Praktisch bedeutet das, sie mehr oder weniger voneinander abzuleiten. Und genau diese Operation gelingt von diffizil nach großzügig entschieden entspannter als in der entgegengesetzten Richtung. In diversen Bauforen im Internet kann man sehr gut beobachten, wie Laienplaner im Endspurt ihrer Grundrisserarbeitung zwischen Ohnmacht und Tobsucht schwanken, wenn sie mit dem Wohngeschoss angefangen haben und erst danach das Schlafgeschoss hinzubasteln versuchen.
Gilt diese Regel immer?
Wie alle Regeln wird auch diese von Ausnahmen bestätigt. Oder genauer gesagt: Ihre Gültigkeit ist relativ. Manchen Lesern mag es schon aufgefallen sein, dass ich in diesem Beitrag wie ein Politiker von Wohn- und Schlafgeschossen gesprochen habe. Denn die Begriffe „Erdgeschoss“ und „Obergeschoss“ verwende ich nur bei Häusern auf relativ ebenen Grundstücken, wo Straße und Garten an derselben Geschossebene liegen. Bei manchen Hanggrundstücken ist die Wohnebene nicht unbedingt auch die Eingangsebene. Hier muss die Regel angepasst bzw. der Inhalt meiner Rede mitunter sogar „umgedreht“ werden.
2 thoughts on “Das Obergeschoss hat Vorrang”